Zweiter Seelsorgebrief Corona vom 21. März 2020


Liebe Freunde auf Lanzarote und an anderen Orten, 

dieses ist nun das zweite Wochenende, an dem wir gezwungen sind, auf unsere gemeinsamen Gottesdienste zu verzichten. Mir fehlt das. Aber es gibt noch so viel anderes, was uns fehlt. Das Gespräch mit vertrauten Menschen, die vielleicht zufällige Begegnung auf der Straße, das direkte Austauschen von Gedanken und Gefühlen, von Zeit miteinander. Wie werden wir damit in den sicher kommenden Wochen umgehen?

Neben den Wünschen, sich auf eigene Stärken zu besinnen und die Möglichkeit, über Telefon oder Internet miteinander zu kommunizieren, geht es mir, sowie vielen anderen, auch dann besser, wenn ich mich auf einen Bibeltext einlasse. An diesem Wochenende hätten wir in unseren beiden Gottesdiensten einen Text aus dem 66. Kapitel des Jesajabuches gelesen (Jes. 66, 10-14). Ich möchte hier den Vers zitieren, der für mich im Zentrum dieses Textes steht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden.“ (Vers 13)

Das ist es also. Das letzte Kapitel des Jesajabuches. Ein Reise durch die Geschichte der babylonischen Gefangenschaft. Angefangen bei den Warnungen vor politischen und militärischen Verstrickungen, über das Erleiden der Zerstörung des Tempels, fortgesetzt in den Jahrzehnten des Exils, bis hin zum langsamen Aufatmen und Hoffen, dass es eine Zukunft geben wird, die nicht mehr bestimmt ist von den niederdrückenden Zwängen des Lebens im Exil. Aber geht es dem Verfasser, der sich einordnet in die große Tradition des Jesaja und seiner Schülerinnen und Schüler, wirklich um die physische Rückkehr nach Jerusalem?

In den Worten des Propheten ist die Stimme Gottes zu hören, die menschliche Grenzen überschreitet. Der Blick der und des einzelnen wird förmlich herausgerissen aus der bedrückenden Lage, die scheinbar ausweglos ist. Und auch, wenn wir unterschiedliche Erfahrungen mit unseren Müttern gemacht haben werden - das Bild der tröstenden Mutter, auch wenn wir es vielleicht ersetzen mit einer Großmutter oder einer anderen Frau in unserer Kindheit, dieses Bild vermittelt uns eine Nähe, die wir - meistens - in guter Erinnerung haben. Damit wird etwas angerührt, was uns in allen widrigen Umständen wenigstens etwas Ruhe und Zuversicht vermitteln kann.

Der zweite Teil unseres zitierten Verses ist ebenfalls interessant. Auf der einen Seite wird an Jerusalem erinnert. An die Stadt, in der der erste Tempel stand und zerstört wurde, die Stadt, aus der 587 vor Christus die Israeliten zum größten Teil vertrieben wurden, die Stadt, die das Zentrum des jüdischen Denkens und Glaubens war und ist. Auf der anderen Seite deutet der Text aber etwas an, was das Volk Israel so wohl nur im babylonischen Exil lernen konnte: nicht „in“, sondern „an“ Jerusalem soll getröstet werden. Es geht also nicht zwingend um den physischen Ort, sondern es geht um den mentalen Ort, die Idee, die hinter der physischen Stadt steht.

Diese Idee verbindet uns Christinnen und Christen mit unseren jüdischen Schwestern und Brüdern. Der Gedanke nämlich, so wie es das Volk Israel in seiner Geschichte uns voraushat, dass Gott nicht an einen Ort, z.B. einen bestimmten Gottesdienstort, gebunden ist. Sondern dass Gott mit uns auf dem Weg ist. Uns dort tröstet, wo wir uns mit unserer Not gerade befinden.

In diesen Wochen denken wir an die Passion Jesu. Jesus, der nicht nur selber gelitten hat, sondern der ebenfalls die Schmerzen, das Leid der Menschen geteilt hat, denen er begegnet ist. Weil wir als Christinnen und Christen das Bild dieses Jesus vor Augen haben, ist es uns auch möglich, uns in unserem Alltag darauf zu beziehen. Trost erfahre ich nicht nur durch die Begegnung mit anderen Menschen. Trost beziehe ich auch aus dem, was ich in der Bibel lese, im Gebet erfahre, in der Meditation erkenne.

Liebe Freunde, in diesen Zeiten, die uns alle Besonderes abverlangen, lasst uns miteinander verbunden bleiben. Durch Telefonate und Emails, aber auch durch das - wenn auch örtlich getrennt - gemeinsame Besinnen auf Jesus, der als Gottessohn uns erkennen lässt, wie menschlich tröstend Gott uns begegnet.

Ich wünsche Euch einen guten, gesegneten Sonntag und eine Woche, in der Ihr dem Trost, der von Gott kommt, nachspüren könnt.

Euer Detlef Schwartz


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